Dreckbreggl so graoß wia Wengerthäusla

Das Schicksal eines Grossheppacher Wengerters im Ersten Weltkrieg

... oder was eine Weinberghütte mit dem ersten Weltkrieg zu tun hat

Ein Herbst in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Auf einer Streuobstwiese in Grossheppach im Gewann Beutelstein. Hermann Sigle und sein Enkel lesen Mostobst auf. Plötzlich vibriert der Boden und es ist ein Grumeln zu hören. Im Endersbacher Steinbruch wurde gesprengt.

Herrmann Sigle:  Bua, so wars em Kriag - Dreckbreggl so groß wia Wengerthäusla send do romgfloga

Dieser Satz beschäftigt mich seither immer wieder.

Im "Stüble" meines Grossvaters lag in der Tischschublade das Buch "Flandern-Regiment 413 - 30 Monate Westfront".

Dieses Regimentsbuch ist der Band 52 "Das Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 413" aus der Reihe "Die Württembergischen Regimenter im Weltkrieg 1914-1918". Es ist 1936 erschienen.

Schon als kleiner Junge hab ich darin geblättert. Als Grundschüler konnte ich dann auch recht schnell die Frakturschrift entziffern und in diesem Buch lesen.

Mein Grossvater ist darin namentlich erwähnt. Er zeigte mir die Stelle in der beschrieben wird wie er und einige seiner Kameraden am 07.06.1917 von Engländern gefangen wurde.

Nach dem Tod meines Grossvaters ist dieses Buch verschollen. Leider hab ich mir den genauen Titel nicht gemerkt. Die Nummer seines Infanterieregiments hatte ich falsch in Erinnerung. Jahrelang suchte ich nach diesem Buch. Dabei meinte ich es wäre das Regiment mit der Nr. 123 oder 126 gewesen. Daher bin ich immer wieder in einer Sackgasse gelandet.

Ich wusste das er bei einer grossen Schlacht bei Ypern gefangen wurde. Die "Dreckbreggl" die er erwähnte stammten von einer der größten von Menschen gewollt herbeigeführten konventionellen Sprengungen. Ich konnte damit zunächst das Gebiet und den Zeitpunkt recht gut eingrenzen:

Schlacht bei Messines / Schlacht am Wytschaetebogen

Die Engländer bezeichnen sie als Schlacht bei Messines. In Deutschland spricht man von der Schlacht am Wytschaetebogen

Südlich von Ypern in Belgien gab es einen Frontvorsprung. Den Wytschaete-Bogen. Den wollten die Engländern beseitigen und dann auch in Richtung Ostende vorstossen. Dort war der deutschen U-Boot-Stützpunkt ein Ziel das sie ausschalten wollten.

Das Internet bot immer mehr Möglichkeiten Informationen zu dieser Schlacht zu finden. In der Wikipedia existieren mehrere Einträge rund um dieses Ereignis:

Hier war ich dann in der Sackgasse. Ich wusste zwar daß mein Grossvater in der Nähe einer der grossen Minensprengungen am 07.06.1917 war. Aber welche konnte ich wg. der fehlenden Information über sein Regiment da noch nicht herausfinden.
 
Ich musste deshalb mein Vorhaben am Morgen des 07.06.2017 nach 100 Jahren der Stelle zu stehen wo für mein Grossvater der Kampf im Weltkrieg mit seiner Gefangennahme zuende war nicht umsetzen. Ich wusste nicht welche der Sprengstellen bzw. der teilweise noch sichtbaren Sprengkrater in der Nähe seiner Stellung war.
 
Das Internet hatte mir dann vor einigen Jahren einen neuen Ansatz geliefert:

Auf der Webseite des Verein für Computergenealogie e. V. sind die Verlustlisten des 1. Weltkriegs veröffentlicht und können durchsucht werden.

Der erste Treffer auf der Verlustliste vom 11.08.1917:

Zunächst vermissst.

Dann später ein zweiter Eintrag in der Verlustliste vom 04.09.1917:

Da hatten die deutschen Behörden die Information über die Gefangennahme und gaben sie über die Verlustlisten weiter.

Passt mit zu den mir bisher vorliegenden Informationen und Erzählungen meines Grossvaters. Ich war aber immer noch in der Sackgasse :-(

 
Am 23.09.2018 fand in Weinstadt ein Vortrag über Erwin Rommel im ersten Weltkrieg statt. Ich hab diese Gelegenheit genutzt um mit dem Referenten Dr. Wolfgang Mährle vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart über meine bisher noch vergeblichen Nachforschungen zu sprechen. Er hat mich auf die Veröffentlichung von Regimentsbüchern aus dem ersten Weltkrieg auf der Webseite der Württembergischen Landesbibliothek hingewiesen.
 
Neu motiviert habe ich noch in der Nacht nach diesem Vortrag meine Suche im Internet wieder aufgenommen. Dabei bin auch auf die Seite Württembergischer Weltkriegs-Blog gestossen.
 
Der Autor des Blogs hat eine Datenbank ("Württembergische Soldatenbank") aufgebaut. Er schätzt das darin ca. 100.000 Einzelpersonen erfasst sind. Ich sah da eine Chance mit meinen Nachforschungen weiterzukommen. Meine Anfrage per Mail wurde innerhalb weniger Stunden beantwortet.
 
Diese Mail war die Lösung meines Problems. Ich erhielt mehr Informationen über meinen Grossvater als ich mir vorher je erträumt hatte:
 
Zu Hermann Gottlob Sigle:

Ihr Großvater wurde am 5. November 1915 zum Ersatz-Bataillon Württ. Reserve-Infanterie-Regiment 120 eingezogen.

Am 1. März 1916 wurde er zur 1. Ersatz-Maschinengewehr-Kompagnie/XIII. versetzt, wo er zum Richtschützen und Gewehrführer ausgebildet wurde und kam am 25. Juli 1916 zur Maschinengewehr-Kompagnie des Württ. Infanterie-Regiments (später 1. MGK/IR 413) ins Feld.
 
Das IR 413 gehörte ebenfalls der 204. (Württembergischen) Infanterie-Division an (ist auf Ihrer Skizze eingetragen). Er erhielt am 16. November 1916 das EK II und wurde am 28.02.1917 zum Gefreiten befördert.
 
Er wurde am 7. Juni 1917 als vermißt gemeldet (Vermißtemkartei im Dateianhang), war in englische Gefangenschaft geraten und kehrte am 14. November 1919 über das Durchgangslager Wilhelmshaven aus der Gefangenschaft zurück.
 
Fast wie von selbst fügten sich die bisher von mir gesammelten Puzzleteile einen nahezu vollständigen Bild zusammen. Hier löste sich dann der "Knoten" mit der Regimentsnummer: 413 war die Lösung.
 
Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 413
 
Wurde am 10. Juni 1916 in Stuttgart als „Ersatz-Infanterie-Regiment Nr. 1 / XIII" aufgestellt. Kurz danach wird es in „Infanterie-Regiment Stuttgart Nr. 413 / XIII" umbenannt.

Jetzt konnte ich das richtige Regimentsbuch finden:

So hatte ich es in Erinnerung. Als ich dann zum erstem Mal drin geblättert hatte sind mir einige Bilder darin nach über 40 Jahre bekannt vorgekommen.

Dank dem Hinweis des Webmaster vom Württembergischen Weltkriegs-Blog habe ich auch den Link zur PDF-Version dieses Buches bei der Württembergischen Landesbibliothek gefunden.

Jetzt endlich konnte ich tiefer nachforschen. In dem Regimentsbuch ist eine Karte mit den Frontverläufen und Stellungen am 07.06.1917 abgebildet.

Frontabschnitt den das Infanterie-Regiment 413 an diesem Tag besetzt hatte:

Hier sind auch zwei Minensprengungen um 04:00 Uhr morgens eingezeichnet. Die dürfte mein Grossvater also hautnah erlebt haben.

Für den Bau der Minenschächte wurden Sappeure und Mineure beziehungsweise Bergleute aus allen Teilen des British Empire eingesetzt, im Fall der Minen bei Messines stammten sie besonders aus England und Wales, Kanada und Australien. Die gegnerischen Stellungen wurden so weit wie möglich untergraben, die Stollen anschließend mit mehreren Tonnen Ammonal-Sprengstoff gefüllt und unter strengster Geheimhaltung zum Teil über mehrere Monate einsatzbereit gehalten. Die Länge der Tunnel unter dem Schlachtfeld bei Mesen betrug an die 8.000 m; dies schloss auch die heftig umkämpfte Höhe 60 mit ein.

Die Minensprengungen in der Schlacht bei Messines sind recht gut dokumentiert. Im Bereich der Infanterieregiments wurden zwei dieser Minen gezündet.

  • Hill 60           ca. 24 Tonnen Ammonal-Sprengstoff       (obere Sprengung nördlich der Bahnlinie)
  • Caterpillar    ca. 32 Tonnen Ammonal-Sprengstoff       (untere Sprengung südlich der Bahnline)

Mit "Hill 60" nördlich der Eisenbahnlinie wurde die militärisch bedeutende "Höhe 60" ausgeschaltet.

Der Frontabschnitt des Infanterie-Regiments 413 heute:

Von der Mine "Caterpillar" existiert heute noch ein wassergefüllter Krater.

An der rot markierten Stellen befand sich der Stützpunkt F ( "Falke" ). Mein Grossvater war zum Zeitpunkt der Sprengungen und des Angriffs dort mit seiner Maschienengewehrgruppe stationiert.

Der Stützpunkt F befindet sich ca. 200 - 300m von einem der Explosionskrater "Caterpillar" entfernt. Das erklärt auch warum diese Besatzung die Sprengungen im Gegensatz zu den Soldaten in den vorderen Linien überlebt hat.

Die "Dreckbreggl so groß wia Wengerthäusla" wurden also offensichtlich von den 32 Tonnen Sprengstoff der Mine "Caterpillar" in die Luft geschleudert.

Das Regimentsbuch ist chronologisch gegliedert. Ab der Seite 28 werden die Ereignisse des Regiments in dieser Flandernschlacht beschrieben.

Ab Seite 41 ist das Schicksal der MG-Stoßtruppbesatzung meines Großvaters detailiert bis zur Gefangennahme beschrieben:

Das Schicksal einer M.G.-Stoßtrupp-Besatzung vor, während und nach der Sprengung schildern die Kameraden Sigle und Dinkelaker der 2. M.G.-Kompanie und sehr anschaulichen Bildern:

Unterirdisches Bohren und Tacken, wochenlang vorangegangenes Vernichtungsfeuer bis zur heftigsten Steigerung, anhaltendes Trommel- und Punktfeuer ließen keinen Zweifel mehr an einem englischen Angriff bestehen, welcher nur noch Stunden auf sich warten lassen konnte und der uns von diesem mörderischen, alle Kraft verzehrenden Erleben erlösen sollte.

Eine Stunde vor unserer M.G.-Ablösung erfolgte der Angriff, das entsprach genau der am Vorabend durchgegebenen Meldung, die ich durch Feuerüberfälle hindurch zum Zugführer zurückgebracht hatte. Ich trennte mich dort mit gleichgültiger Zuversicht und pirsche mich wieder vor zu meinem M.G. - Ruhe vor dem Sturm! Mag kommen was will, man war abgestumpft!

Wundersame, ruhige, uns scheinbar wohl gegönnte Morgenstunden ließen uns trotzdem das bevorstehende Ereignis ahnen und nochmals alle Maßnahmen für den Angriff mit den uns zugeteilten Infanteristen durchsprechen. Bis zur Stunde vom Glück begünstigt, war unser Stützpunkt unversehrt wie eine Insel in den riesigen, von Torpedo-Minen und Granaten schwersten Kalibers gewühlten Trichtern stehen geblieben.

Ungefähr 10 Minuten vor 4 Uhr unterbrach links von uns, in der Gegend von Messings, gelbes Leuchtkugelschießen der Engländer den Morgen, für uns ein etwas unklares Schauspiel. Wir beide, Sigle und Dinkelaker, beobachteten in fortwährendem Überlegen und Beraten diese Erscheinung, bis Punkt 4 Uhr ein Beben und Schwanken der Erde, Feuerwände an allen Ecken und Enden, den erwarteten Angriff brachte.

Erde und Qualm in Tosen und Krachen wirbelten durcheinander, reißendes Zerbersten der Brisanzgranaten, heftiges Trommelfeuer von nur kurzer Dauer lag auf der völlig zerstörten Stellung. Ihrer Feuerwalze dicht folgend, tauchten die ersten Wellen des Gegners auf. „Alarm!" Die im Unterstand sich aufhaltenden Kameraden stürzen sich an ihre Posten. Heulend und rollend fegten Hagel von Granaten über uns hinweg. Es galt, den Gegner aufs Korn zu nehme, der immer wieder versuchte seinen Angriff auch bei uns vorzutragen.

Die vor unserem M.G.-Stützpunkt „F" liegende 6. Kompanie vom Inf.-Regt. 413 unter Führung von Leutnant d.R. Koller hatte im Moment der Sprengung schon so große Verluste durch Verschrottung erlitten, daß an einen ernstlichen Widerstand nicht zu denken war, weshalb sich Leutnant Koller mit den wenigen überlebenden Mannschaften ebenfalls zu dem Stützpunkt F sich zurückzog, welcher etwa 300m hinter der vordersten Linie war. Dort wurde gegenüber den bereits vordringenden Engländern energischer Widerstand geleistet und dem Gegner ganz erhebliche Verluste beigebracht. In hervorragendem Maße beteiligte sich an diesen Kämpfen auch der Bursche des Leutnant Koller, Heinrich Hummel.

Plötzlich, gerade noch zur rechten Zeit, wurden wir durch einen Kameraden auf die Gefahr in unserer linken Flanke aufmerksam gemacht, dort war der Gegner am Eindringen. Wir durften keine Zeit verlieren durch Stellungswechsel des Gewehrs. Dinkelaker sprang kurz entschlossen zum Patronen-Zuführen auf Deckung und so konnten wir den Gegner ohne Zeitverlust unter M.G.-Feuer nehmen.

In häufigem Stellungswechsel nach hart bedrängten Stellen und immer in höchster Gefahr hatte unser M.G. Breschen in die Reihen des Gegners geschlagen, die demselben teilweise ungeheure Verluste beibrachten und auf diese Weise entscheidend das Vordringen der Engländer beeinflusste.

Langsam brach der Morgen durch Rauch und Qualm, als wir eine noch nicht genau zu erkennende Schützenlinie hinter uns auf unserer Höhe heraufkommen sahen. Wir hofften, diese Kolonne ist Unterstützung für uns zu einem Gegenstoß, was Freude und neuen Mut bei uns auslöste. Bald mussten wir zu unserem Schrecken feststellen, daß diese Truppen hinter unserem Rücken Engländer sind, die, ohne den geringsten Widerstand zu finden über die deutschen Stellungen hinwegmarschierten. Ohne Besinnen feuerten wir nach rückwärts in dieses lohnende Ziel. Wirres Chaos in ihren Reihen unterbrach ihre Marschrichtung, mehrere Versuche, weiterzumarschieren, stockten durch unser Feuer.

Um dem Gegner die Stellung unseres dampfenden Gewehrs nicht zu verraten, befahl ich einem Infanteristen, der Kasino-Ordnonnanz Weber, Patronen zuzuführen, um in der Zwischenzeit den Wasserkessel aus dem Unterstand zum Nachfüllen zu holen, als Weber auch schon, rücklings getroffen (Halsschuß) zu Boden sank.

Weiter tobte der Kampf, Hand- und Gewehrgranaten platzten, Geschosse zischten, aber ohne uns stören zu lassen, ließen wir nicht von dem uns immer wieder gebotenen Ziel ab. Ein Aufschrei von Sigle! Von Handgranatensplitter getroffen, nicht gefährlich, feuerte er am Gewehr weiter.

Kaum war der 8. Kasten Munition angefangen, Hand- und Gewehrgranaten krepierten um uns herum, gab es eine Hemmung; durch Treffer wurde unser M.G. ausser Gefecht gesetzt. Der Ring zog sich immer enger und enger um uns immer noch kämpfendes, kleiner und kleiner werdendes Häuflein von 8-9 Mann und löste sich nach und nach in Einzelkämpfe auf.

Der Infanterist Schäfer von Derendingen, der sich in entschlossener Tapferkeit mit einer hinter unserem Rücken eingedrungenen feindlichen Gruppe herumschlug, fiel hier für sein Vaterland. Ehre seinem Angedenken!

Die letzte ausgebuddelte Handgranate und die Pistole taten noch ihren Dienst. Hilfe erwartend, riefen wir vorwärtsgehenden Kameraden um Unterstützung an, doch sie hatte bereits das Gefangenenlos ereilt. Sollten wir auch dieses Schicksal teilen.

Unmöglich und unglaublich schien es uns, daß entwaffnete deutsche Soldaten vor unseren Augen in ruchloser Weise getötet bzw. ermordet wurden, wie wir es hier mitansehen mußten. Aussichtslos war unser Kampf geworden und aussichtslos war es, den Engländern zu entkommen.

Wie diese Tapferen schließlich doch in Gefangenschaft gerieten und wie es ihnen dort erging, schildert Kamerad Koller wie folgt:

Unser Schicksal musste sich in der nächsten halben Stunde entscheiden, sollte es gehen, wie es auch wollte. Schweren Herzens dachte ich an all meine Lieben, aber ich durfte nicht weich werden, denn jede Minute verlangte den vollen Einsatz der Person. Nun begannen die ersten Handgranaten durch die Luft zu fliegen, was für uns um so schlimmer war, da wir keine richtige Deckung nehmen konnten und sehr zusammengedrängt waren. Wir antworteten natürlich auch sofort mit Handgranaten und warfen immer in die Richtung, aus der die feindlichen herkamen, so daß wir von mancher Seite allmählich unbelästigt blieben; trotzdem war es furchtbar aufregend, die Dinger immer beizeiten zu entdecken, um sich dann in irgendein Loch zu pressen, bis die Explosion vorbei war; wir kamen uns schließlich wie umhergesetzte Tiere vor. Unsere bereits kurz vorher gefangenen Tommys benützten diese Gelegenheit, wieder auszukratzen, was wir natürlich in diesem Durcheinander nicht verhindern konnten.

So gelang es uns also über eine halbe Stunde lang, uns die Engländer vom Hals zu halten. Nach allen Richtungen mußten wir nun mit Handgranaten arbeiten und durften aber nicht zu verschwenderisch damit sein, weil unser Vorrat nicht übermässig groß war; weitere Munition konnten wir nicht bekommen, da wir von allen Seiten eingeschlossen waren. Wir hielten die Engländer auf diese Weise lange in Schach, was ja meine Absicht war, denn noch immer hoffte ich auf Hilfe.

Die Engländer hatten eine gewaltigen Respekt vor unseren Handgranaten, welche infolge ihrer großen Detonationswirkung ein glänzendes Abwehrmittel waren; die englischen dagegen machten weniger Radau, hatten aber dafür grössere Splitterwirkung, der man aber ausweichen konnte, wenn man halbwegs gewandt war.

Schließlich hatten wir aber doch noch zwei Verwundete; das war für uns verhängnisvoll, da wir vorher schon lange zahlenmäßig unterlegen waren. Die armen Verwundeten mussten nun im Graben liegenbleiben, ohne daß wir ihnen Hilfe bringen konnten. Unsere Lage wurde immer bedenklicher, da wir mit der Zeit alle Handgranaten verschlissen hatten, wie auch die Infanteriemunition langsam zur Neige ging.

Der Gedanke an eine Übergabe war uns aber noch fern, denn wir konnten uns in dieses entehrende Schicksal nicht hineindenken. Wir verfeuerten noch manche Kugel, aber hatten wenig Erfolg mehr, denn die feigen Hunde ließen sich nicht mehr sehen, weshalb Hummel und Unteroffizier Walter, trotzdem ich es ihnen verboten hatte, in ihrer grenzenlosen Wut oben auf den Graben sprangen und stehend nach den Kerls schossen, so daß ich befürchten mußte, sie würden auch noch getroffen.

Wir waren nur noch vier Kampffähige und hatten nur noch wenig Patronen und ich mußte mich nun, so schwer es mir wurde, entschließen, den Kampf aufzugeben, sobald die Engländer nahekamen. Ob sie uns gefangennehmene würden, war ja noch immer eine andere Frage, nachdem wir so unter ihnen gehaust hatten.

Meine Pistole hatte ich nun weggeworfen, weil sie eine Ladehemmung hatte, außerdem hatte ich noch die alte Munition, welche aus den vorne stumpfen Geschossen bestand; wenn man mit dieser Munition ertappt wurde, so wurde man glatt erledigt, deshalb warf ich sie kurz vorher noch in ein nahes Wasserloch, wo sie niemand finden konnte.

Nun nahmen sich die Tommys den Mut, näherzukommen, indem sie uns auf englisch zuriefen, wir sollten uns übergeben. Da sie von allen Seiten kamen, war ein weiterer Widerstand nutzlos; ich hätte es auch nicht verantworten können, das Leben meiner braven Leute weiter aufs Spiel zu setzen, nachdem wir uns so lang wie möglich verteidigt hatten.

Mit vorgehaltenem Gewehr und Bajonett kamen sie auf uns los und wie hielten unser Ende gekommen; ich ließ unsere Leute die Waffen niederlegen, d.h. wir warfen ihnen alles glatt vor die Füße.

Es konnte nun sein, daß sie mit uns Mitleid hatten, denn wir sahen auch übel aus. Ein „Kaffer" von ihnen wollte nun noch auf etwas 3 Meter Entfernung schießen, wobei ihn aber ein anderer sein Gewehr auf die Seite schlug und ihn ordentlich anschnauzte. Er sah nun meinen Verlobungsring, den er gern gehabt hätte und bestand darauf, daß ich ihm denselben überlasse, wogegen ich mich natürlich weigerte; als aber Miene machte, mich über die Haufen zu stechen, mußte ich ihm eben den Ring geben, so schwer es mit auch wurde.

Wir wurden nun gemein ausgeplündert, das Geld abgenommen usw. - Glücklicherweise ließen sie mir das kleine Bildchen meiner Braut, das ich gleich nach der Sprengung zu mir gesteckt hatte. Dann ließen uns die übel nach Alkohol riechenden Räuber stehen und übergaben uns zwei Kerls, die uns vier abzutransportieren hatten. Ich wollte noch nach meinen Verwundeten sehen, hauptsächlich aber nach den Leuten meiner Kompanie, von denen sich die ganze Zeit über keiner bemerkbar gemacht hatte; ich durfte mich aber nicht um sie kümmern.

Die meisten von ihnen waren wohl gefallen, wahrscheinlich schon durch die Sprengung, was sich dann auch später zu meinem größten Schmerz bestätigte. Wie s mir zumute war, kann ich nie wirklich beschreiben, so was läßt sich bloß erleben.

Wir wurden also von den bereits erwähnten Engländern abgeführt. Sie haben uns die allgemeine Richtung an, wohin wir marschieren sollten und wir begannen langsam vorwärts zu gehen, was den Engländern offenbar nicht paßte, weshalb sie uns bedeuteten, schneller zu gehen; ich traute diesen Beiden vorläufig nicht recht und wollte sie erst noch ein wenig genauer ansehen.

Inzwischen kamen wir in der Nähe der Stelle vorbei, wo wir die vorgehenden Engländer mit dem M.G. bearbeitet hatten, dort sah es böse aus; es war mir, offen gestanden in diesem Moment eine Genugtuung gegenüber dieser englischen Horde, welche uns durch dies niederträchtige, ruhmlose Mittel ihrer Sprengung solche Verluste beibrachten und so diesen Tag als ein Sieg für sich betrachten konnten.

Unterwegs sahen wir noch manchen Toten liegen, leider auch von unseren Leuten welche. Wir kamen so durch die englische Stellung, voraus ein Engländer, dann die Leute, an deren Schluss ich ging und hintendrein ein Engländer mit aufgepflanztem Bajonett; ich kann wohl sagen, daß es ein ziemlich unbehagliches Gefühl war, immer diesen Kerl hinter sich zu wissen; ich drehte mich auch öfters um, um ihn im Auge zu haben, mit der Zeit stellte er sich aber ziemlich harmlos heraus.

Auszug aus dem Regimentsbuch des IR 413

[Das ist der Orginaltext aus diesem 1936 hausgegebenen Buch. Das muss man beim Lesen berücksichtigen und die Wortwahl usw. entsprechend einordnen]

 

In diesem Buch wurde u.A. auch weitere Kameraden erwähnt:

  • Dinkelaker, ein Metzger aus Stuttgart-Untertürkheim
  • Infanterist Karl Schäfer aus Derendingen (heute ein Teilort von Tübingen)

Dinkelacker überlebte die Schlacht und wurde zusammen mit meinem Grossvater gefangen. Er besuchte meinen Grossvater bis in die 70iger Jahre. Ich habe ihn als kleiner Bub noch kennengelernt.

Karl Schäfer ist auf dem Kriegerdenkmal an der Außenmauer der Derendinger Kirche auf der Gefallenenliste aufgeführt.

Für meinen Grossvater war dann am Morgen des 07.06.1917 der Kampf vorbei. Er verbrachte dann eine längere Zeit in einem Kriegsgefangenenlager in PattisHall, South Northamptonshire, England:
 

 

Meine Urgrosseltern hatte dann erst ab September 1917 die Gewissheit das Hermann Sigle überlebte.

 

 

= Seite in Arbeit - wird noch ergänzt und ausgebaut =

 

 

Hintergrundinformationen

Die in langer Vorbeit gegrabene und mit viel Sprengstoff gefüllte Minen wurde im Sommer 1917 von der 1st Australian Tunnelling Company am 07.06.1917 morgens um 4 Uhr gesprengt.

2010 wurde in Australien der Spielfilm "Beneath Hill 60" ( deutsch "Helden von Hill 60" ) gedreht. Diese Spielfilm handelt von den Vorbereitungen und der Sprengung der zwei Minen "Caterpillar" und "HILL 60":

Trailer "Helden von Hill 60"

 

 


Quellen:

 

 

 

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